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Walter Flegel, ND
               
Ich habe seit 1990 kein stilleres Buch über die Berliner
 Mauer gelesen. Die Ruhe, mit der Martin Ahrends nach dem Fall der Mauer
 über seine Geschichte mit ihr erzählt, erreicht eine selten erfahrene
 Eindringlichkeit, macht sensibel für Schmerz und Verlust, löst
 Nachdenklichkeit aus. Das geht tiefer und weiter als das, was die vielen
 aufgeregten Berichte und Schilderungen, die Vorwürfe und Verurteilungen
 immer wiederholen, bis man schließlich unempfindlich wird.Martin Ahrends, unterwegs im Zwischenland, das Berlin und Kleinmachnow
 voneinander trennte, durchwandert sein Leben. Das erzählt er mit Distanz
 zu sich selber, trägt einen Ton in die zänkische, dümmlich
 einseitige Betrachtung deutscher Geschichte, der bislang kaum zu vernehmen war.
 Das Buch bewegt zur Besinnung, ohne die es für Deutsche in Ost und West
 nicht möglich sein wird, ihre unterschiedliche Geschichte anzunehmen, sie
 einander nicht mehr vorzuwerfen, um sich besser als der andere zu dünken.
 Die Deutschen waren und sind in ihrer Geschichte trotz Mauer und Grenze und
 trotz Toter einander näher, als sie meinen und wollen. Sie waren und sind
 in ihrer Geschichte auf vielfältige Weise miteinander verwoben,
 voneinander abhängig, aufeinander angewiesen. Martin Ahrends weist auf die
 Wunden und Narben hin, verschweigt die eigenen nicht, aber er reißt sie
 nicht auf. Er geht durch das Zwischenland, sieht, wie die Natur sich nach und
 nach zurückholt, was ihr Menschen genommen haben, erlebt, wie etwas heilt
 und weiß, daß das in der Natur rascher geht als bei Menschen.
 Ahrends drängt nichts auf. Über sich erzählt er und hofft
 unausgesprochen, daß andere es ihm gleichtun. Damit sind wir fast noch am
 Anfang. Sein Buch ist ein guter Schritt weiter in unser Zwischenland hinein,
 das wir noch lange nicht ausgeschritten haben, in dem noch die Betonbrocken der
 abgerissenen Mauer herumliegen, die von manchem aufgehoben und immer wieder dem
 anderen hinterhergeworfen werden.
 Das Buch ist mit Fotografien von Roger Melis und Bernd Blumrich ausgestattet,
 die dem Text entsprechen. Schwarz-Weiß-Bilder von Resten der
 Grenzanlagen, Landschaft, die müde wirkt und Ruhe braucht, um sich zu
 erholen… Bücher von Ahrends, wie »Der märkische
 Radfahrer« oder »Mann mit Grübchen«, bleiben einem im
 Gedächtnis. Wie jedem das »Zwischenland« in Erinnerung bleiben
 wird. Das viele lesen sollten, damit der Ton dieses Buches sich hält, wie
 sich im Zwischenland zuerst Kräuter und Pflanzen in den Schneisensand
 krallten, Kalisalzkraut oder Idelgras, ihre Samen verbreiteten und den Anfang
 machten für ein fruchtbares Stück Erde.
 Walter Flegel, Neues Deutschland, 02.01.1998 |